Verkehr in Mönchengladbach: Sensor misst Abstand zwischen Autos und Fahrrädern - RP+

Verkehr in Mönchengladbach : Radfahrer dokumentieren gefährliche Abstände auf den Straßen

Mönchengladbach. Geahnt haben es viele Radfahrer schon länger, ein Abstandsmesser soll jetzt Gewissheit bringen: Autofahrer halten den Mindestabstand oft nicht ein. Wie das funktioniert und welche Orte in Mönchengladbach besonders betroffen sind.
Von Mario Büscher

So nah kam ihm bisher noch niemand. Zumindest seit Beginn der Aufzeichnungen Ende Dezember nicht. 43 Zentimeter, neuer Rekord. Negativrekord. Lucas Nagy (31) ist kurz vorher mit seinem Lastenrad auf der Speicker Straße gefahren, jetzt steht er vor dem Büro des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), dessen Vorstandsmitglied er in Mönchengledbach ist. „Das war schon echt sehr knapp. Und sehr gefährlich“, sagt Nagy.
Seit Dezember umschlingt ein Sensor den Hals seines Sattels. Der misst den Abstand von Fahrzeugen, die neben Nagy fahren. Auf dem kleinen Display an seinem Lenker erscheint dann der Abstand in Zentimetern. „Der Sensor bestätigt das Gefühl, dass Abstände zu oft nicht eingehalten werden“, sagt Nagy. Ausgedacht hat sich das Konzept ein Verein in Stuttgart: OpenBikeSensor. Ziel sei es, Schwachstellen und Verbesserungspotenzial in der Verkehrsinfrastruktur aufzuzeigen. Die Daten, die Lucas Nagy während seiner Touren aufzeichnet, werden gespeichert. So können besondere Nadelöhre später ausgewertet werden.

Schwerpunkt Hohenzollernstraße

„Besonders problematisch in Mönchengladbach sind die Hauptverkehrsstraßen wie zum Beispiel die Hohenzollernstraße. Da gibt es kein Angebot für Radfahrer“, sagt Nagy. Genau dort ist er gerade unterwegs. Mit Stefanie Wolgast (36) die mit ihrem neongelben Rad hinter Nagy fährt. Die Straße ist in beide Richtungen zweispurig, der Radweg daneben aber nicht mehr in Betrieb, die Wurzeln der Bäume drücken sich langsam durch den Asphalt. Die Autos überholen an dieser Stelle heute meistens mit dem nötigen Abstand von anderthalb Metern, auch weil mehrere Räder hintereinander fahren. Ein Lastwagen unterschreitet den vorgeschriebenen Abstand aber ebenfalls deutlich, Nagy ruft kurz auf und deutet auf seinen Lenker, wo der Abstand angezeigt wird. Ein knapper Meter.

Historische Stadtplanung

„Alle Verkehrsteilnehmenden sollten bei der Verkehrsplanung berücksichtigt werden, sodass sie sich sicher fortbewegen können“, sagt Stefanie Wolgast. Mit dem Sensor und den gespeicherten Daten sollen deshalb auch keine Autofahrer angezeigt werden. „Wir wollen nur analysieren und aufzeigen, wo in den Städten gehandelt werden muss“, sagt Nagy. Die Stadt gibt an, dass der Radverkehr bei neuen Infrastrukturvorhaben immer mitgedacht werde. „Zur Förderung einer nachhaltigen Mobilität sollen Fahrrad- und Fußverkehr bei zukünftigen Planungen mindestens gleichgestellt sein“, teilt ein Stadtsprecher mit, schränkt aber ein, dass es aufgrund „historischer autogerechter Stadtplanung“ auf einigen Straßen noch nicht der Fall sei. Stefanie Wolgast hat kein Auto. Sie ist ADFC-Mitglied und Mitglied des Vereins Eine Erde. Mittlerweile fährt Wolgast auf manchen Straßen in Mönchengladbach gar nicht mehr. „Ich versuche, als Radfahrerin sichere Routen zu wählen. Das funktioniert nicht immer und ist meist mit Umwegen verbunden“, sagt sie. Mittlerweile habe sie sich ein Netz von einigermaßen fahrradtauglichen Straßen gesponnen. Ein Grund dafür waren zwei Unfälle von Wolgast. Einmal wurde eine Autotür plötzlich geöffnet, als sie vorbeifuhr, ein Unfall sei unvermeidbar gewesen. Ein anderes Mal sei sie frontal mit einem anderen Auto zusammengestoßen. „Danach bin ich erst mal zwei Wochen kein Fahrrad mehr gefahren“, so Wolgast. Inzwischen fühlt sie sich wieder sicher. „Aber was ist mit älteren Fahrradfahrern oder ganz jungen?“, fragt sie.

Den Sensor haben die Gladbacher gemeinsam mit dem Radentscheid Essen gebaut. Die Anleitung dafür gibt es online, für jeden verfügbar. Genauso wie die Software und die Karten mit den Auswertungen unter: obs.radentscheid-essen.de. Ein Open-Source-Produkt also: „Wir wünschen uns, dass unser Sensor von vielen genutzt und weiterentwickelt wird“, schreibt der Verein aus Stuttgart dazu.

Problematische Schutzstreifen

Nagy und Wolgast fahren jetzt auf der Eickener Straße, wo es einen Fahrradschutzstreifen gibt. „Der suggeriert, dass man bis zur Linie an die Radfahrer heranfahren darf“, sagt Nagy. Das sei aber falsch, der Mindestabstand von 1,5 Metern gelte auch hier. „Wir würden uns mehr bauliche Trennungen wünschen“, sagt Nagy. Die Daten des Sensors zeigten auch, dass die Abstände auf der Bahnstraße und der Dahlener Straße häufig nicht eingehalten werden. Abstände von unter einem Meter sind keine Seltenheit. Schutzstreifen sind nicht von Fahrbahn und Gehweg getrennt. Sie werden durch gestrichelte weiße Markierungen ausgewiesen. Halten und Parken ist dort nicht erlaubt, überfahren werden darf der Streifen nur in eingeschränkten Fällen, beispielsweise um dem Gegenverkehr auszuweichen.

Die Stadt sagt, sie ziehe bauliche Maßnahmen den Schutzstreifen ebenfalls vor, allerdings nur, wenn die Breite des Straßenraums dies zulasse. Und das sei eben häufig nicht der Fall. Dann „sind Schutzstreifen eine geeignete Alternative“, teilt die Stadt weiter mit. Die Daten des Radsensors zeigen, dass der Abstand auf der Eickener Straße häufig zu gering war. Unter einem Meter. Teilweise deutlich darunter. Einige Autos machen aber auch einen großen Bogen und überholen mit zweieinhalb Metern Abstand. Momentan fahren zwei der Überholabstandsmesser an Mönchengladbacher Rädern durch die Stadt, aber es sollen mehr werden. Es gebe noch viele weiße Flecken auf der Karte. „Wenn man sich nicht sicher fühlt, ist es aber eigentlich egal, ob der Sensor das Gefühl bestätigt oder nicht“, sagt Nagy. Dann müsse sich baulich etwas ändern.

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